Leidenschaft für Recht und Gerechtigkeit

Mit 83 Jahren starb Dr. Rudolf Wassermann / 20 Jahre OLG-Präsident in Braunschweig

Von Hans-Jürgen Grasemann

"Wenn es gelingt, eine wirklich gerechte Justiz immer wieder zu erneuern und lebendig zu erhalten, wird ein Versprechen eingelöst, das sich mit dem Namen der Demokratie verbindet." Rudolf Wassermann war ein leidenschaftlicher Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit und für die Erneuerung des Rechtswesens im Sinne humaner Demokratie.

Als Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig von 1971 bis 1990 hat er über die Grenzen Deutschlands hinaus Einfluss auf Rechtspolitik und Rechtspraxis ausgeübt und sich für eine bürgernahe Justiz eingesetzt. Das Grundgesetz war für Wassermann, der sich viele Jahre in der SPD und als Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) engagiert hat, "kein Museumsgegenstand", "sondern unser kostbarster Besitz, den wir immer wieder neu erwerben müssen". Seine Sorge um den Werteverlust in der pluralistischen Gesellschaft und um die Schwächung der den Rechtsstaat tragenden Institutionen hat ihn angetrieben, sich intensiv einzumischen.

Die breite Öffentlichkeit hat den Braunschweiger OLG-Präsidenten als pointiert formulierenden Kommentator in Tages- und Wochenzeitungen und im Rundfunk, aber auch als häufigen Gast in Fernsehdiskussionsrunden und auf Tagungen wahr genommen, der kenntnisreich und streitbar zu aktuellen Tagesfragen und grundsätzlichen Problemen der Rechts- und Justizpolitik Stellung bezogen hat.

600 Zeitschriftenaufsätze und Beiträge in Sammelwerken, die Herausgabe der Reihe "Alternativkommentare" und die Leitung der Vierteljahreszeitschrift "Recht und Politik" sowie Bücher wie "Der politische Richter", " Die richterliche Gewalt", "Die Zuschauerdemokratie", "Der soziale Zivilprozess" und "Politisch motivierte Gewalt in der modernen Gesellschaft" zeugen von einer kaum glaublichen Arbeitsleistung. In seiner Schrift "Kammergericht soll bleiben" schildert Wassermann, der am Kammergericht auch für die Referendarausbildung zuständig war, die "Geschichte des berühmtesten deutschen Gerichts" und "die Rolle der Justiz in den Wechselfällen politischer Entwicklung". Er hat seine Arbeit dem Andenken des 1974 von Terroristen ermordeten Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann gewidmet.

Wer nichts anstößt, bewegt auch nichts. Seinem Motto ist Rudolf Wassermann sein Leben lang treu geblieben: als Landgerichts- und Kammergerichtsrat in Berlin, Pressesprecher von Bundesjustizminister Gustav Heinemann, dem späteren Bundespräsidenten, als Landgerichtspräsident in Frankfurt/Main und schließlich als Chefpräsident in Braunschweig und Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs.

Als Präsident des Landesjustizprüfungsamtes widmete er sich der Reform der Juristenausbildung. An der Gründung des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Universität Hannover war er maßgeblich beteiligt. Die Integration der Sozialwissenschaften war für den Juristen Wassermann, der als Altmärker in Halle auch Philosophie, Germanistik und Soziologie studiert hat, eine wichtige Ergänzung des Jura-Studiums.

Nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit haben ihn ihre Folgeprobleme ebenso beschäftigt wie aktuelle Verfassungsdiskussionen und gesetzgeberische und gerichtliche Entscheidungen. In zahlreichen Publikationen hat er sich mit der Aufarbeitung totalitären Unrechts befasst und der Forderung nach Amnestie eine klare Absage erteilt. Die Täter würden die Straffreiheit nicht als Gnadenakt empfinden, sondern als Bestätigung ihrer falschen Auffassung, dass das SED-Regime eine Herrschaftsordnung wie andere auch gewesen sei.

"An jedem Sarge erlebt man es, dass der Tod das Leben, indem er es begrenzt, zugleich formt, dass die Gestalt des Toten plötzlich deutlicher vor uns steht, als wir sie im Leben je zu sehen vermochten." Der Satz von Gustav Radbruch, dem Rechtsphilosophen und Reichsjustizminister (SPD), dessen Werk Wassermann jungen Juristen immer wieder vermittelt hat, gilt gewiss auch für den Menschen, von dem wir am 24. Juni in einer bewegenden Trauerfeier in Goslar Abschied genommen haben.

Der Tod Dr. Rudolf Wassermanns, der noch am 5. Januar seinen 83. Geburtstag im Kreis seiner Familie begehen und die Entwicklung seiner Enkeltochter mit Freude verfolgen konnte, ist für die deutsche Justiz ein schmerzlicher Verlust. In Braunschweig werden wir seiner Persönlichkeit und seinem Wirken noch lange mit Stolz und Dankbarkeit gedenken.

 

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2008/ 1 + 2