Das Ostbüro der SPD

Eine Erinnerung anlässlich des 100. Geburtstags von Stephan G. Thomas

„Ich gehe zu Schumacher, und du gehst zu Ulbricht, der braucht solche Typen“, mit diesen Worten verabschiedete sich Stephan Thomas bei der entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft von seinem Mitgefangenen Karl-Eduard von Schnitzler, dem später führenden Fernsehpropagandisten der DDR. Nach zwei Jahrzehnten Leitung des Ostbüros der SPD war Thomas Chefredakteur des Deutschlandfunks, danach begehrter Gastdozent bei Institutionen der politischen Bildung. Für die kommunistische Seite war er so etwas wie der Teufel in Menschengestalt. Der leidenschaftliche Verfechter der deutschen Einheit verstarb drei Jahre bevor sie eintrat.

Von Wolfgang Buschfort

I. Gründung des Ostbüros

Das SPD-Ostbüro stellt eine Besonderheit in der Parteiengeschichte, aber auch in der deutsch-deutschen Geschichte dar. Es wurde gegründet als Reaktion auf den kommunistischen Machtanspruch im Osten Deutschlands. Die Tätigkeit kann nur verstanden werden aus der speziellen Unterdrückungssituation in der SBZ heraus.

Ausschlaggebend für den Startschuss zum Aufbau war das Gespräch zwischen Abgesandten der SPD in der SBZ mit Kurt Schumacher und Herbert Kriedemann von der West-SPD am 8. Februar 1946 in Braunschweig. Hier wurde deutlich, dass sich eine Vereinigung von SPD und KPD in der Ostzone nicht mehr verhindern ließ. Zurück in Hannover plante Schumacher nun, eine Widerstandsorganisation in der SBZ aufzubauen, die von der West-SPD angeleitet dort den Boden bereiten sollte für eine Wiederzulassung der SPD nach dem Abzug der Sowjets. Vorbild war der Widerstand in der Bismarck- und der Hitlerzeit, nur dass man sich diesmal in einer erheblich besseren Situation wähnte: Immerhin konnte man im Westteil Deutschlands einigermaßen legal arbeiten.

Erste Aufgabe waren Hilfestellungen für geflüchtete Sozialdemokraten. Vor allem die Flüchtlingsbetreuung wurde schon während des Vereinigungsprozesses zu einer der zentralen Aufgaben des SPD-Ostbüros. Zu den ersten SPD-Flüchtlingen aus der SBZ gehörte auch Rudi Dux, ein sozialdemokratischer Journalist, der als NS-Widerstandskämpfer zwei Jahre inhaftiert war und nach Kriegsende in Magdeburg die SPD mit aufgebaut hatte. Er wurde der erste Leiter dieser Stelle.

Dux schickte Kuriere in die SBZ, um alte Verbindungen zu Genossen aufzunehmen und so herauszufinden, ob es sich bei den eingetroffenen Flüchtlingen tatsächlich um verfolgte Sozialdemokraten handelte. Gleichzeitig nahm man Flugschriften, meist Reden von Schumacher, mit. Schon im Juli 1947 wechselte die Führung. Der Ex-Kommunist Sigi Neumann wurde Ostbürochef. Der Parteivorstand stellte ihm den langjährigen Sozialdemokraten Stephan Thomas, mit bürgerlichem Namen Grzeskowiak, zur Seite, sicherlich auch ein wenig als Aufpasser.

II. Aufbau und erste Rückschläge

Die Vertrauensleute im Osten sollten den Widerstand hochhalten und waren gleichzeitig eine Personalreserve für den Tag der Wiedervereinigung. Dazu sollten sie jedoch vor allem Informationen über die Zustände in der SBZ/DDR beisteuern. Der Vorwurf gegenüber den Vertrauensleuten, eigentlich verkappte Spione gewesen zu sein, trifft nicht zu. „Verrat ist Vertrauensbruch“, diese anerkannte Kurzformel von Margret Boveri erläutert am ehesten die Unsinnigkeit dieser Vorwürfe. „Die Vertrauenswürdigkeit des anderen“, auf der „alles Zusammenleben der Menschen“ beruht, war in der SBZ/DDR nicht vorhanden.

1948 und 1949 waren für die SPD geprägt von Massenverhaftungen. Mehr als 1.000 Verbindungsleute des Ostbüros kamen in Haft oder wurden in die Sowjetunion deportiert. Grund waren mangelnde Konspiration und in einigen Fällen auch Verrat. Vor allem aber wurden die Kuriere, die das SPD-Ostbüro in den Osten schickte, vielfach ab der Grenze beschattet. So erfuhr der sowjetische Geheimdienst, wen diese Personen besuchten. Im Schneeballsystem konnten dann auch viele andere Gruppenmitglieder verhaftet werden, denn teilweise hielten die illegal arbeitenden Sozialdemokraten regelrechte Ortsvereinssitzungen ab und führten sogar Protokoll und Anwesenheitslisten.

Nach diesen katastrophalen Misserfolgen ging Neumann. Stephan Thomas wurde Leiter des Ostbüros. Er stellte die Kontakte auf streng konspirative Basis um. Das Konzept, überall in der SBZ sozialdemokratische Widerstandsgruppen als Keimzellen einer künftigen SPD zu bilden, ließ man fallen. Statt dessen sollten sich die Genossen in der SBZ nur noch individuell an das Ostbüro wenden und seine Zweigstellen oder verabredete Treffpunkte aufsuchen, um Informationen weiterzugeben oder Material in Empfang zu nehmen. Der Kurierverkehr in der bisherigen Form wurde eingestellt. In den darauf folgenden Jahren sind dann etwa zehn bis fünfzehn Genossen pro Jahr verhaftet worden, die mit dem Ostbüro in Verbindung standen.

Mit der Gründung der Staatssicherheit 1950 ergab sich noch kein verschärfter Kampf gegen das Ostbüro. Als Ausgangspunkt einer groß angelegten Verfolgung politischer Widerstandskämpfer kann hingegen der 17. Juni 1953 angesehen werden, der die Notwendigkeit einer stärkeren Durchdringung systemfeindlicher Organisationen aufzeigte. Erstes Ergebnis war der Diebstahl eines internen Verzeichnisses der Gebäude des SPD-Ostbüros, in dem wahrscheinlich auch die Treffwohnungen aufgeführt waren. Und doch: Die Staatssicherheit begann ihre zielgerichtete Arbeit gegen die SPD-Widerstandszentrale mit Fehlinformationen. So wurde zur konzentrierteren Arbeit gegen die SPD 1954 eine „Lektion“ für die Mitarbeiter des MfS erarbeitet,[1] die sich scheinbar auf alte Propagandaschriften aus den 40er Jahren stützte. So bezeichnet das Stasi-Lehrbuch noch 1954 Fritz Heine als Leiter des Ostbüros in Hannover, Erich Ollenhauer und Herbert Kriedemann als wichtige Mitarbeiter und „Brand, Willy leitet die Zweigstelle des ´Ostbüros´ in Berlin“[2], dies zu einem Zeitpunkt, als der Parteivorstand mit besagten erstgenannten Vorstandsmitgliedern sich seit vier Jahren nicht mehr in Hannover, sondern in Bonn befand, und Willy Brandt lange schon nichts mehr mit dem Ostbüro zu tun hatte.

Aufgrund der Tatsache, dass allein in Berlin zeitweise mehr als 100 Personen fest, auf Honorarbasis oder gegen Unkostenentschädigung für die verschiedenen Zweigstellen des SPD-Ostbüros arbeiteten, war es für die östliche Seite relativ leicht, Agenten einzuschleusen. Bis weit in die 60er Jahre arbeitete auch in der Bonner Zentrale ein Stasiagent, der sich nach außen als kompromissloser Antikommunist tarnte.

Das Ende des Ostbüros

Das Ende der Ostbüros erklärt sich zum Teil aus der Zersetzungsarbeit des MfS, zum Teil sind aber auch parteiinterne Faktoren ausschlaggebend. Vor allem auf Herbert Wehner war es zurückzuführen, dass die Arbeit des SPD-Ostbüros eingestellt werden musste. Mitte 1966 verließ Stephan Thomas das Ostbüro. Auch hier ist eine deutliche zeitliche Übereinstimmung der Aufgabe der eigenen Tätigkeit mit einem geplanten Redneraustausch festzustellen, nämlich jenem auch nie zustande gekommenen Austausch mit der SED.

Die Arbeit des 1967 in "Referat für gesamtdeutsche Fragen" umbenannten Ostbüros wurde Zug um Zug eingestellt. Das Ende erfolgte 1971, ein Jahr später meldeten Zeitungen unwidersprochen, der letzte Leiter Bärwald habe jahrelang Interna aus dem Parteivorstand an den Auslandsnachrichtendienst BND geliefert, der es wiederum der CSU zugänglich gemacht habe.

Erfolg oder Misserfolg?

Das Ostbüro ist in Erwartung einer baldigen Wiedervereinigung gegründet worden; diese kam nicht, und so passte es irgendwann, spätestens 1961, nicht mehr in die politische Landschaft. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es das Denken und Hoffen der Menschen in der SBZ/DDR vehement beeinflusst hat. Ab Anfang der 50er Jahre konnte jeder DDR-Bürger durch einen kurzen Spaziergang im Wald oder auf Feldern Flugblätter und Broschüren finden, die monatlich in Millionenauflage mit Ballons verbreitet wurden. Allein das SPD-Ostbüro bestritt monatlich mindestens vier Sendungen des RIAS. Jeder kleine und mittlere Funktionär bekam mehrfach im Jahr Broschüren zugeschickt; die Verunsicherung, das lässt sich aus den Akten des MfS belegen, war immens.

Das Ostbüro der SPD hat hier sicherlich eine erfolgreiche Arbeit geleistet. Zitate der Staatssicherheit hierzu: „Das wesentlichste Moment in der gesamten Tätigkeit des Ostbüros der SPD ist die ausgeklügelte Demagogie, mit der auf die werktätigen Menschen einzuwirken versucht wird. Dadurch übertrifft das Ostbüro der SPD an Gefährlichkeit alle anderen in W[est]D[eutschland] und W[est-] B[erlin] bestehenden Agentenzentralen.“[3] Die Publikationen des SPD-Ostbüros seien „deshalb gefährlich, weil sie einmal in der Sprache der Arbeiter abgefasst sind und in bestimmten Fällen Prognosen über die zukünftige Entwicklung in der DDR enthalten“, stellte das MfS fest. Diese Prognosen könne das Ostbüro „aufstellen, weil sie sehr aufmerksam die Beschlüsse und Verordnungen unserer Partei und Regierung auswerten und somit unsere zukünftige Entwicklung und evtl. Schwierigkeiten die dabei auftreten, einschätzen können.“[4] Im Gegensatz zu den staatlichen Organen und der Parteiführung der DDR, wie eine Analyse der Staatssicherheit 1957 belegt: „Zu welchen Ergebnissen eine derartige Tätigkeit von SPD-Mitgliedern führt, beweist die Tatsache, dass das Ostbüro der SPD (...) in der Lage war, eine ausführliche Analyse der pol[itisch]-oek[onomischen] Situation des VEB TRO, eines der größten Berliner Betriebe, zu treffen. In dieser Analyse waren Dinge enthalten im Bezug auf die betrieblichen Zustände, die selbst der dortigen Werk- resp. Parteileitung nicht bekannt waren.“[5]


[1] BStU, MfS JHS Tgb. Nr. 78/54. Weitere Angaben ebenda.

[2] BStU, MfS JHS Tgb. Nr. 78/54, Bl. 5.

[3] BStU, MfS, AS 1007/67, Entstehung und Entwicklung des Ostbüros der SPD, 10.10.58, Bl. 9.

[4] BStU, MfS JHS Tgb Nr. 317/58, Bl. 45.

[5] BStU, MfS JHS Z Tgb. Nr. 201/57, Lektion: Die Rolle der legalen SPD im demokratischen Sektor von Berlin nach 1945 und der Aufbau und die Tätigkeit der Jugendorganisationen der SPD, Bl. 18.

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