„Alles Käse, Genossen“

Vor 20 Jahren: Aufhebung der Todesstrafe in der DDR

„Geschwafel“ war für Ulbrichts und Honeckers obersten Henker Erich  Mielke die späte Tendenz, von Todesurteilen abzusehen. Doch zwei Jahre vor dem Fall der Mauer war die SED-Herrschaft so weit geschwächt, dass sie in diesem Punkt einer Angleichung an die Bundesrepublik nicht mehr ausweichen mochte. Die Todesstrafe wurde 1987 abgeschafft. Die letzte Hinrichtung war 1981 vollzogen worden.

Von Hans-Jürgen Grasemann

Im Morgengrauen des 26. Juni 1981 zerreißt ein Schuss die Stille in der zentralen Hinrichtungsstätte im streng abgetrennten Teil der Strafvollzugseinrichtung Alfred-Kästner- Strasse in Leipzig. Dr. Werner Teske (39) sackt tödlich im Genick getroffen zusammen. Der Stasi-Hauptmann war der letzte DDR-Bürger, an dem unter strengster Geheimhaltung die Todesstrafe vollstreckt wurde. Seine Frau Sabine, die selbst monatelang in Untersuchungshaft saß, wurde unmittelbar nach der Hinrichtung ihres Mannes entlassen. Jahre später berichtete sie auf einer Veranstaltung in Leipzig: „Man sagte mir nur, mein Mann sei zum Tode verurteilt worden, aber nichts über die Vollstreckung. Ich habe all die Jahre geglaubt, mein Mann würde im Gefängnis sitzen. Dass sie ihn tatsächlich umbringen, habe ich mir nicht vorstellen können. Erst nach dem Mauerfall habe ich nach ihm geforscht und die Wahrheit erfahren. Noch 1990 drohte mir ein Militärjurist, ich solle es ja nicht wagen, mit der Sache an die Öffentlichkeit zu gehen.“

Von den in 40 Jahren SED-Herrschaft verhängten 231 Todesurteilen wurden 166 vollstreckt. Wegen Mordes und NS-Verbrechen wurden 109 Menschen hingerichtet. 57 Menschen verloren ihr Leben wegen „Staatsverbrechen“. Vollstreckt wurden nach Gründung der DDR die Todesurteile zunächst dezentral , vor allem in Waldheim und Frankfurt/Oder, und ab 1952 zentral in der Untersuchungshaftanstalt Dresden mit dem Fallbeil, das schon die Nationalsozialisten eingesetzt hatten. Ab 1960 wurden die Todesurteile in der neuen zentralen Hinrichtungsstätte in Leipzig vollstreckt, anfangs noch mit dem Fallbeil, später mit dem „unerwarteten Hinterhauptnahschuss“. Die Exekutionen in Dresden wurden eingestellt, weil die SED die Hinrichtungsstätte 1960 zu einer Mahn und Gedenkstätte umgestalten ließ – „zur Erinnerung an die 1069 Frauen und Männer, die hier in den Jahren 1939 bis 1945 unter dem Fallbeil starben“.

Mit Teske mussten 14 Stasi-Bedienstete ihren „Verrat“ mit dem Leben bezahlen, ebenso „Verräter“ aus den Reihen der Volkspolizei. Im Fall des in die Bundesrepublik geflüchteten Grenzpolizeioffiziers Manfred Smolka, den das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in eine Falle lockte, begründet Stasi-Minister Erich Mielke das Ziel der Tötung Smolkas im Befehl von 1960: „Das Verfahren ist geeignet, aus erzieherischen Gründen die Todesstrafe zu verhängen.“ Seine menschenverachtende Brutalität legte Mielke auf einer MfS-Konferenz 1982 offen: „Wir sind nicht davor gefeit, dass wir einmal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzer Prozess. Weil ich ein Humanist bin. Deshalb habe ich solche Auffassung... Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil – alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil.“

Dennoch wurde zumindest der äußere Schein von Gerichtsverfahren in den politischen Strafverfahren, in denen das Ministerium für Staatssicherheit als Untersuchungsorgan nicht selten den Ablauf und das Strafmaß in Form von internen „Regieanweisungen“ und „Drehbüchern“ bestimmte, gewahrt. Echte und erschöpfende Prüfung einer etwaigen strafrechtlichen Schuld wurde deshalb nicht angestrebt und durch Willkür ersetzt. Es ging in den politischen Verfahren um die Beseitigung von Regime-Gegnern unter einem rechtlichen Gewand. Selbst die Totenscheine wurden gefälscht. Sie gaben keinen Aufschluss über Todesursache und Todesort.

Mit der Praxis der Todesstrafe in der DDR befasste sich die Justiz im vereinten Deutschland seit 1991 im Rahmen von Rehabilitierungsanträgen und in Strafverfahren wegen „Rechtsbeugung in Tateinheit mit Totschlag“. In einem Revisionsverfahren gegen einen Richter am Obersten Gericht der DDR, der wegen seiner Beteiligung an politisch motivierten Todesurteilen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war, hat der Bundesgerichtshof 1995 ausgeführt: „Aus humanitären Gründen kann keinem Staat das Recht zustehen, durch diese Sanktion über das Leben seiner Bürger zu verfügen. Vielmehr erfordert es der Primat des absoluten Lebensschutzes, dass eine Rechtsgemeinschaft gerade durch den Verzicht auf die Todesstrafe die Unverletzlichkeit menschlichen Lebens als obersten Wert bekräftigt. Darüber hinaus erscheint es unbedingt geboten, der Gefahr des Missbrauchs der Todesstrafe durch Annahme ihrer ausnahmslos gegebenen Unzulässigkeit von vornherein zu wehren. Fehlurteile sind niemals auszuschließen. Die staatliche Organisation einer Vollstreckung der Todesstrafe ist schließlich, gemessen am Ideal der Menschenwürde, ein schlechterdings unzumutbares und unerträgliches Unterfangen.“

Am 17. Juli 1987, sechs Jahre nach dem letzten vom MfS befohlenen Justizmord, hat der Staatsrat der DDR die Abschaffung der Todesstrafe verfügt. Im Vorfeld seines ersten Treffens mit Bundeskanzler Helmut Kohl im September 1987 in Bonn hat der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker die Entscheidung als Beleg für die humanistische Ausrichtung seines Regimes rechtzeitig herbeigeführt. Im Grundgesetz lautet seit 1949 Artikel 102 schlicht: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.

 

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT 2007 / 3

 

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