Leugnung der Verbrechen des Kommunismus
Von Waldemar Ritter
Die Maske ist ab. Die Angst geht um bei der Linksaußenpartei. Es ist die Angst vor der Wahrheit, woher diese Partei kommt, wer sie ist und wohin sie geht. Es ist die Angst, jetzt auch von jenen erkannt zu werden, die die Verpackung für den Inhalt hielten. Morgendämmerung: Auf Dauer ist Politik eben doch kein Maskenball.
Die Bundesvorsitzende der Partei „Die Linke“ hat mit ihren Kommunismus-Thesen Entsetzen und Empörung ausgelöst. In der Zeitschrift „Junge Welt“ schrieb Gesine Lötzsch: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung“.
Kommunismus: Realität der Ausbeutung und Unterdrückung
Auf den Weg machen dorthin, wo sieben Jahrzehnte Unfreiheit, Unrecht und Misswirtschaft durch systemimmanente Ausbeutung regierten, wo es Völkermord und Unterdrückung, wo Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen Minderheiten, gegen soziale, ökonomische und politische Gruppen stattfanden. Wege des Kommunismus, auf denen mit Menschen experimentiert wurde, die millionenfach deportiert, vertrieben und organisiert dem Hungertod ausgesetzt wurden. Wege, die in Umerziehungslagern, in Zuchthäusern, im kommunistischen Genozid, dem Holodomor, in Konzentrationslagern, in Zwangsarbeit, in Folterzellen, im GULag und in Massengräbern endeten. Wege, auf denen die hinterlassene Blutspur von 94 Millionen umgebrachter Menschen nicht getrocknet ist. Wege zum Kommunismus, die zum Albtraum der Menschheit geworden sind.
Gesine Lötzsch hatte einen Entwurf, eine Textvorlage, aus der deutlich wurde, dass der Ideologiebegriff „Kommunismus“ ohne geschichtliche Einordnung, das heißt ohne Hinweis auf die Verbrechen, die seinen Weg gepflastert haben, die in seinem Namen begangen wurden, nicht verwendbar ist. Die Vorsitzende der „Linkspartei“ hat den von Michael Brie benannten bolschewistischen Terror heraus gestrichen und dessen Opfer mit keinem Wort erwähnt. Die damit verbundene Leugnung der kommunistischen Massenmorde, der kommunistischen Greuel, der totalitären kommunistischen Diktatur hat sie nach der öffentlichen Empörung, zum Teil aus der eigenen Partei, auf die Nach-Stalin-Zeit beschränkt. Als ob es da nicht die mit Panzern nieder gewalzten Aufstände 1956 in Ungarn und 1968 in Prag (Sozialismus mit menschlichem Antlitz) oder 1980 die brutale Gewalt gegen das polnische Volk und Solidarnosc gegeben hätte. Als ob Staaten und Völker in der ehemaligen Sowjetunion und Mittelosteuropa bis 1989 nicht von Kommunisten unterdrückt wurden. Als ob es das Pekinger Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens 1989 nicht gab. Als ob es die Mauertoten und die Folterkeller bis zur Revolution in der DDR nicht gegeben hat. Als ob es nach Stalin nicht weitere kommunistische Massenmörder, wie Mao Zedong oder Pol Pot, gegeben hat. Als ob der Kommunismus nicht eine reale, das heißt, eine brutale, unmenschliche, blutige Geschichte hat. Die sowjetischen Archive wurden in den 90er Jahren geöffnet, und der Wissenschaft und Forschung ist es gelungen, die Logik des lange als irrational geltenden Vernichtungsfeldzuges Stalins gegen die eigene Bevölkerung nachzuvollziehen. Die Frage von Ernst Bloch ist beantwortet: Stalin hat den Kommunismus zur Kenntlichkeit gebracht. „Die Ideologie!“ hat Solschenizyn unterstrichen, „Sie ist es, die der bösen Tat die gesuchte Rechtfertigung und dem Bösewicht die nötige zähe Härte gibt. Jene gesellschaftliche Theorie, die ihm hilft, seine Taten vor sich und den anderen rein zu waschen, nicht Vorwürfe zu hören, nicht Verwünschungen, sondern Huldigungen und Lob.“
Wie es dazu in der Linksaußenpartei aussieht, zeigt die Warnung des letzten SED-Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow, unmittelbar nach den Äußerungen der Gesine Lötzsch: „Die Linkspartei sollte nicht hinter den 20. Parteitag der KPdSU zurückfallen, auf dem Stalins Verbrechen mit deutlichen Worten verurteilt wurden.“ Auf dem Moskauer Parteikonvent im Frühjahr 1956 hatte Nikita Chruschtschow die Delegierten in einer fünfstündigen Geheimrede über die Verbrechen und Gräueltaten seines Vorgängers Stalin aufgeklärt. Die Konsequenzen haben nach über 30 Jahren erst die größte Revolution seit 1789 und Gorbatschow gezogen.
Nein, Stalin war kein „Ausrutscher“ auf einem „an sich guten Weg“. So ähnlich mögen viele unter Schock stehende Kommunisten in der ganzen Welt nach dem XX. Parteitag gedacht haben, aber die große Zahl der Abtrünnigen („Dissidenten“) – Jahrzehnt um Jahrzehnt kamen neue hinzu – ging viel weiter. So auch Milovan Djilas aus dem engeren Führungkreis der jugoslawischen Kommunisten. Bereits in den 1950er Jahren unterzog der sprachgewaltige Schriftsteller das kommunistische System einer Fundamentalkritik. Tito musste seinen Freund fallen lassen, wenn die privilegierte herrschende Schicht, die Djilas als „neue Klasse“ zu demontieren begann, die bisher unumstrittene Führungsrolle des hoch verdienten Marschall Tito nicht in Frage stellen sollte. Djilas erhielt Schreibverbot und wanderte ins Gefängnis. Doch er setzte noch eins drauf: 1957 war das serbische Manuskript der „Nova Klasa“ fertiggestellt. Es erreichte den Verleger in New York „zusammen mit der Botschaft des Autors, es so rasch wie möglich zu veröffentlichen, ohne Rücksicht auf die Folgen, die eine Veröffentlichung nach sich ziehen würde“ (so berichtet der kurz zuvor aus der DDR geflüchtete Ex-Kommunist Alfred Kantorowicz in der Einführung zur deutschen Ausgabe des damaligen Bestsellers von Milovan Djilas: Die neue Klasse). Das angebliche Volkseigentum an den Produktionsmitteln (Kapital) war tatsächlich in den Händen der zuständigen Kader in Partei, Staat und „volkseigener“ bzw. „sozialistischer“ Wirtschaft, die vom Politbüro der herrschenden Partei eingesetzt waren und sich zu einer neuen, nicht Eigentümer-, sondern Besitzerklasse mauserten. Nach Djilas besteht der Kommunismus aus drei Hauptfaktoren der totalitären Kontrolle über das Volk: Macht (mit all ihren „Organen“), Besitz (Managermacht), Ideologie. Sie sind das Monopol der Partei oder eben der „neuen Klasse“. Mit vielen weiteren Jahren Gefängnis vor Augen und nur wenige Monate oder Wochen nach der sowjetischen Niederschlagung der ungarischen Revolution schließt Milovan Djilas das Hauptkapitel seines Buches – mehr als drei Jahrzehnte (!) vor 1989 – mit einer zur damaligen Zeit erstaunlichen, aber doch logisch nachvollziehbaren Zuversicht: „Wenn die neue Klasse von der Bühne der Geschichte abtritt – das muss einmal geschehen –, dann wird weniger Trauer über ihren Abgang herrschen als über den jeder anderen Klasse zuvor: Indem sie alles unterdrückte, was ihrem Egoismus nicht förderlich war, hat sie sich selbst zur Niederlage und zu schmachvollem Untergang verurteilt.“
Kommunismus als Experiment?
Der Frau Lötzsch und ihrer Partei sei gesagt: Wir Menschen leben nicht auf Probe. Die Opfer der verschiedenen Kommunismuswege wurden nicht virtuell, sie wurden wirklich umgebracht, fast drei Generationen, die durch die Machtausübung auf der Grundlage kommunistischer Irrlehren leiden und bezahlen mussten. Sie wurden um ihr Leben gebracht. Sie hatten wie alle Menschen kein zweites Leben im Kofferraum. Und die Vorsitzende der „Linkspartei“ will zwanzig Jahre nach der Revolution in der DDR und in Mittelosteuropa und 65 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur zurück, um wieder Wege zum Kommunismus auszuprobieren. Sie will sich an Edisons Methode des „trial and error“ ein Beispiel nehmen. Das Beispiel heißt „Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 10.000 Wege, wie man keine Glühbirne baut“. Hat diese Parteivorsitzende der „Linken“ den Unterschied zwischen einer zerstörten Glühbirne und einem Menschenleben nicht verstanden, nicht verstehen wollen? Und hat sie deshalb die Analyse des Michael Brie, eines der wenigen Nachdenker in der „Linkspartei“, nicht begriffen? Brie schrieb schon vor fünf Jahren in einem Aufsatz mit dem Titel: „Was hätte Rosa gesagt?“ seiner Partei ins Stammbuch: „Es gab in der Linken immer eine Strömung, die um der Erreichung sozialer Ziele (... ...) willen bereit war, die politische Freiheit einzuschränken oder ganz zu unterdrücken. Dies ist die Tendenz zu einem sozial orientierten Autoritarismus, die in eine sich sozial legitimierende Diktatur übergehen kann und historisch auch übergegangen ist. Und diese Diktatur ist dann wiederum unter bestimmten Bedingungen in eine totalitäre Herrschaft umgeschlagen, die die Menschheitsvernichtung im Namen des Sozialismus einschloss.“
Zur Zeit gibt es noch drei „Experimente“ auf unserer Erde: China, Kuba und Nordkorea. In Nordkorea ist der Kommunismus auf dem Weg in die Steinzeit. Das letzte „Dschungelcamp“ wurde von RTL als „Nordkorea-Wochen“ angekündigt: Misstrauen, Isolation, Hungerreis und Mehlwürmer. In Kuba sind die Armut und das Elend der Menschen so weit fortgeschritten, dass selbst Fidel Castro seinen 50-jährigen Weg für einen Irrtum gehalten hat. Und in China wurden zuerst 6o Millionen Menschen umgebracht und nach dem darauf folgenden Massaker in Peking ein Weg begangen, der direkt in einen staatsmonopolistischen Frühkapitalismus führte. In der Gegenwart ist kein Land bekannt, das in Methode, Form und Inhalt kapitalistischer ist als China. Nicht nur wegen der Akkumulation des Kapitals, nicht nur weil dort die 70-Stunden-Woche nichts besonderes ist oder weil es ein Land mit den meisten Millionären und 160 Millionen ausgebeuteten „Wanderarbeitern“ ist, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten und ihren Schlafsack. Es ist auch ein Land, das – als zweites nach Nazideutschland 1936 mit dem inhaftierten Carl von Ossietzky – einen Friedensnobelpreisträger, Liu Xiaobo, im Zuchthaus gefangen hält.
Aber die Vorsitzende der Linksaußenpartei will wieder Wege zum Kommunismus ausprobieren. Exemplarisch: Lenin hatte dazu unter der bezeichnenden Überschrift „Wie soll man den Wettbewerb organisieren?“ ganz konkrete Wege in den Kommunismus benannt und ausprobiert: „Tausenderlei Formen und Methoden der Rechnungsführung und Kontrolle in der Praxis über die Reichen, über die Gauner und Müßiggänger müssen von den Kommunen selbst, von den kleinen Zellen in Stadt und Land ausgearbeitet und in der Praxis erprobt werden. Mannigfaltigkeit ist hier eine Bürgschaft für Lebensfähigkeit, eine Gewähr für den Erfolg bei der Erreichung des gemeinsamen, einheitlichen Ziels: der Säuberung der russischen Erde von allen schädlichen Insekten, von den Flöhen, den Gaunern, von den Wanzen, den Reichen usw. usf.. An einem Ort wird man zehn Reiche, ein Dutzend Gauner, ein halbes Dutzend Arbeiter, die sich vor der Arbeit drücken (....) ins Gefängnis stecken. An einem anderen Ort wird man sie die Klosetts reinigen lassen. An einem dritten Ort wird man ihnen nach Abbüßung der Freiheitsstrafe gelbe Pässe aushändigen, damit das ganze Volk sie bis zu ihrer Besserung als schädliche Elemente überwache. An einem vierten Ort wird man einen von zehn, die sich des Müßiggangs schuldig machen, auf der Stelle erschießen. An einem fünften Ort wird man eine Kombination verschiedener Mittel ersinnen und z.B. durch eine bedingte Freilassung eine rasche Besserung jener Elemente unter den Reichen, den bürgerlichen Intellektuellen, den Gaunern und Rowdys erzielen, die der Besserung fähig sind“ (Prawda 20.1.1929 und Lenin, Ausgewählte Werke, Band II, Moskau 1947). „Stalin und seine Henker“ haben das nicht nur auf diesen Wegen fortgesetzt. Der britische Historiker Donald Rayfield schreibt: „Im Jahr 1937, etliche Jahre vor Hitler, setzte Stalins NKWD – das Polizeiinstrument seines Terrors – Vergasung als Mittel der Massenhinrichtung ein: Lastwagen mit Werbeplakaten für ‚Brot’ fuhren kreuz und quer durch Moskau und pumpten unterdessen die Auspuffgase in den Laderaum, wo nackte Häftlinge bündelweise zusammengebunden lagen, bis die Ladung bereit für die Leichengrube war.“
Lenin und Stalin zeigen mehrere Wege zum Kommunismus und Hitler scheint von ihnen gelernt zu haben. Jüdische Pässe mussten in der Nazidiktatur mit dem Buchstaben „J“ abgestempelt werden und alle Juden ab sechs Jahren mussten den gelben Stern tragen. „Asoziale“ und „Arbeitsscheue“ kamen bei den Nationalsozialisten ins Gefängnis oder in Konzentrationslager. Wer „ohne Berufs- und Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet“, konnte nach dem nationalsozialistischen Grunderlass „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ vom 14. Dezember 1937 in ein Konzentrationslager eingeliefert werden. Allein im Rahmen der im Juni 1938 folgenden Aktion „Arbeitsscheu Reich“ und einem Heydrichbefehl wurden über 10.000 Menschen zur Zwangsarbeit in Konzentrationslager gebracht, die der Disziplinierung „subproletarischer Gruppen“ und der Arbeitskräftebeschaffung dienen sollten. Dazu gehörten Landstreicher, Widerstandsleister, Bettler, Zigeuner, Prostituierte, Zuhälter, Körperverletzer, Hausfriedensbrecher, Trunksüchtige, Personen mit Geschlechtskrankheiten und alle vorbestraften männlichen Juden. In der SED-Diktatur wurde derjenige, „der das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Sicherheit gefährdet, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht“, mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, im Wiederholungsfall bis zu fünf Jahren belegt. Bis ins Detail, bis 1989/90, galt dieser Weg des § 249 im Strafgesetzbuch der DDR.
Zwanzig Jahre Anstrengung der Protagonisten der „Linkspartei“, vom SED-Image weg zu kommen, sind durch die Offenheit der Gesine Lötzsch über den Haufen geworfen. Auch Karl Liebknecht würde ihr vorhalten: „Aufrichtigkeit ist die höchste Form der Dummheit“. Das Desaster und die Angst der Linksaußenpartei sind unüberhörbar und unübersehbar, in der Mitgliedschaft und an der Spitze. Das bisherige Papageiengeplapper der Mitläufer ist kaum noch zu hören. Und: Es gab bisher noch nie so viele Eiertänze wie die des Gregor Gysi, den Klaus Peymann politisch sehr nachsichtig einen „abgewrackten Fernsehmoderator“ nennt oder des Klaus Ernst, dem nur noch seine extrovertierte Sprücheklopferei verbleibt, und Lafontaines, der jetzt nicht einmal mehr seiner Charakterisierung durch Willy Brandt als Mussolini-Napoleon-Verschnitt gerecht werden kann. Nur noch einige Stasileute denunzieren sich offen mit Äußerungen wütender Tobsucht.
Ein alter Witz geht so: Als ein ahnungloser Mensch vernahm, dass der Kommunimus ein Experiment sei, fragte er verwundert: „Aber warum hat man ihn denn nicht wie jedes Experiment erst an Tieren ausprobiert?“
Was könnten die Wähler erwarten?
Ein wenig ironisch gesagt: Wir können Frau Lötzsch für ihre unbedachte Offenheit dankbar sein. Bisher haben viele Wähler die Linksaußenpartei als Zeichen ihres Protestes gewählt oder allenfalls, weil sie einige ihrer punktuellen Forderungen gut hießen. Jetzt wissen sie, wie das volle Programm aussieht. Auch praktisch krankt die neokommunistische „Strategie“ an vielem, auch daran, dass sie die wachsenden internationalen Zusammenhänge einfach ausblendet. Oder will sie zurück zu Stalins Motto: „Sozialismus in einem Land“? Ob das wohl ohne eine erneute Mauer gehen könnte? Die Kernfrage ist jedoch, ob die Wähler das wollen, ob sie dem demokratischen Versprechen trauen möchten. Die hypothetische Frage ist auch, ob die demokratischen Parteien still hielten? Dennoch sollte man die Szenarien des beabsichtigten Experiments prüfen, quasi als Planspiel zu Ende denken.
Frau Lötzsch will mehrere Wege zum Kommunismus ausprobieren. Das könnte sie aber nur, wenn sie eine Mehrheit haben sollte. Somit hofft sie mit den Betonköpfen, dass Krisen sich verstärken und die EU daran zerbräche. Aber was wäre, wenn der erste Versuch ihres Rezepts scheitert? Würden sie und ihre Partei das dann selbst korrigieren? Wer trüge dann die Kosten? Oder würde die Linksaußenpartei, was wahrscheinlicher ist, das Scheitern gar nicht erst eingestehen wollen und stur auf dem falschen Weg weiter gehen? Klaus von Dohnanyi hat am 13. Januar 2011 bei Maybritt Illner zu Recht auf diese Eigendynamik eines einmal begonnenen Prozesses hingewiesen. Konkret: Welcher Politiker wird sich schon selbst bezichtigen, einen zentralen Fehler gemacht zu haben! Würde dann die „Linkspartei“ nicht versucht sein, mit aller Macht Recht zu behalten? Und wird man das „mit aller Macht“ nicht auch ganz wörtlich zu verstehen haben? Sie beruft sich ja ausdrücklich auf Rosa Luxemburgs Forderung, eine einmal erreichte Position im Staat mit Zähnen und Nägeln zu verteidigen! Wie würde sie also bei der folgenden Wahl ein neues Mandat für ein neues Experiment zu erringen hoffen? Würde die Wahl noch demokratisch sein können? Die Bewunderung der Linksaußenpartei für den venezolanischen Machthaber Hugo Chavez spricht ebenso dagegen, wie ihre Einäugigkeit in der Extremismus-Auseinandersetzung und ihr Beschönigen, Bagatellisieren, Verschweigen und sogar Bestreiten schwerer Menschenrechtsverletzungen durch „linke“ Diktaturen. Frau Lötzsch, die gute Kontakte ins Lager der Ex-Stasi-Leute hat, könnte versucht sein, sich dort Rat und Hilfe zu holen. Mit „Zähnen und Nägeln“.
Was hätten wir zu erwarten, wenn diese Partei - nicht nur im Bund, sondern wohl auch in mehreren Bundesländern die Ressorts Inneres und Bildung mit allen ihren Macht- und Einflussmöglichkeiten hemmungslos nutzen könnte? Und wenn sie auf der außerparlamentarischen Schiene die „Massen“ zielgerecht mobilisierte? Das war es ja, was Rosa Luxemburg wollte. Irgendein Thema würde sich schon finden, um Bündnisgenossen zu gewinnen und Nichtkommunisten einzuschüchtern.
Kommunismus ist Antidemokratie
Das Gedächtnis der Gesine Lötzsch sollte ausreichen für eine Erinnerung daran, was Ulbricht den kommunistischen Genossen einst empfohlen hat: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Im Schulungsmaterial der SED klingen die Anweisungen für die „Agitprop“-Arbeit verschraubter. So heißt es beispielsweise unter dem Titel „,Demokratischer Sozialismus’ – Schein und Wirklichkeit“ in einem selbstverständlich vom ZK der SED abgesegneten Büchlein von 1975: „...dass die rechten sozialdemokratischen Ideologen und Politiker ihren demokratischen Sozialismus der strategischen Defensivposition des Imperialismus im Kampf zwischen Imperialismus und Sozialismus anpassen. Ein Blick in die Geschichte des ‚demokratischen Sozialismus’ zeigt, dass seine objektive Funktion schon immer darin bestand, als ideologische Waffe der Bourgeoisie in deren Kampf gegen die Arbeiterklasse und den Sozialismus zu dienen“. Gilt diese erbärmliche Skizzierung durch eine Partei, auf deren Weg des Kommunismus die Arbeiter systembedingt ausgebeutet wurden, was schon am 17. Juni 1953 zum Arbeiter- und Volksaufstand in der DDR führte, noch heute? Oder heute wieder? Oder was sonst? Darüber haben die Verantwortlichen der „Linkspartei“ offenbar noch nicht nachgedacht, auch nicht darüber, was demokratischer Sozialismus, was Volkssouveränität, was Aufklärung, Fortschritt und Gerechtigkeit als ständige Aufgabe wirklich bedeuten.
Einen demokratischen Sozialismus ohne Freiheit und Demokratie, ohne freie Öffentlichkeit, ohne Grund- und Menschenrechte, die der Staat nicht zu gewähren, sondern zu schützen hat, ohne freie Wahlen, ohne freie Abstimmungen des Volkes, ohne frei gewählte Parlamente und Regierungen, die gewählt und abgewählt werden können, ohne Gewaltenteilung und Gleichheit vor dem Gesetz gibt es nicht. Es gibt keinen Mittelweg zwischen Demokratie und Diktatur, keinen Mittelweg zwischen Demokratie und Kommunismus oder Nationalsozialismus, keinen Mittelweg zwischen Demokratie und „fascismo rosso“, wie Ignazio Silone schon 1936 den Kommunismus bezeichnete. Silone: „Wenn der Faschismus einmal wiederkehrt, wird er nicht so dumm sein zu sagen, er wäre der Faschismus. Er wird sagen, er sei der Antifaschismus“. In einem offenen Brief an die in Moskau erscheinende, von Bert Brecht und Lion Feuchtwanger herausgegebene Exilzeitschrift „Das Wort“ schreibt er 1936: „Was wir vor allem brauchen, ist eine andere Art, das Leben und die Menschen zu betrachten. Ohne diese andere Art ...würden wir selber Fascisten werden, meine lieben Freunde, nämlich: rote Fascisten! Nun, was ich Ihnen ausdrücklich erklären mußte, ist, daß ich mich weigere, ein Fascist zu werden, und wenn es auch ein roter Fascist wäre.“ Ähnlich der erste Vorsitzende der SPD nach 1945, Kurt Schumacher, der zehn Jahre in Konzentrationslagern der Nazis saß - er hat die Kommunisten „rot lackierte Nazis“ genannt. In der Weimarer Republik hat das Zusammenwirken zwischen “Nazis und Kozis“ nicht nur zum Untergang der ersten deutschen Demokratie beigetragen, von den negativen Mehrheiten der Nationalsozialisten und Kommunisten in Reichstag bis zum gemeinsamen Berliner Verkehrsstreik von 1932 mit dem NS-Gauleiter Joseph Goebels, der 1933 der Reichspropagandaminister Hitlers wurde, und dem Berliner KPD-Chef Walter Ulbricht, dem späteren Gründer der DDR an der Spitze. Der kommunistische Abgeordnete Kurt Sindermann erklärte im sächsischen Landtag sogar ganz offen: „Bolschewismus und Faschismus haben ein gemeinsames Ziel: die Zertrümmerung des Kapitalismus und der Sozialdemokratischen Partei“. Wir sehen: Die Wege in den Kommunismus können überall hin führen, aber nicht in sein Gegenteil, die Demokratie einschließlich der Strömung des demokratischen Sozialismus.
Lehren aus der Jahrhundertkonfrontation von Demokratie und Kommunismus
Heute, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, leben wir in der Epoche, in der der Kommunismus, d.h. die totalitäre Herrschaft der mit Lenins Lehre ausgestatteten „Parteien neuen Typs“, in Europa vorüber ist. Das Volk selbst entmachtete das hinreichend durchgerostete alte Herrschaftssystem und ersetzte es durch freiheitliche demokratische Verfassungen. Diese gewaltige Errungenschaft lassen sich die Völker der gelungenen demokratischen Revolution nicht mehr nehmen, schon gar nicht durch konterrevolutionäre Fantasien der deutschen „Linkspartei“.
Auf ihrer Suche nach „Wegen zum Kommunismus durch Ausprobieren“ ignoriert die Partei mit den häufig wechselnden Namen die Geschichte des 20. Jahrhunderts, des „Jahrhundert der Diktaturen“. Die Vorsitzende der Linksaußenpartei hat den kommunistischen Terror in ihrer Rede nicht einmal erwähnt. Dies geschah nicht aus Vergesslichkeit, sondern in der zielgerichteten Absicht, die fundamentalistischen Gruppen und Sekten einschließlich DKP innerhalb und außerhalb der „Linkspartei“ nicht zu verschrecken, sondern im Gegenteil an „Die Linke“ irgendwie zu binden. Um einer taktischen Frage willen tat die Vorsitzende Lötzsch so, als befände sich die Menschheit nicht im Jahre 2011, sondern vor 1903, dem „Urknall“ der nicht nur philosophischen, sondern auch blutigen Langzeitauseinandersetzung zwischen totalitärem Leninismus-Stalinismus und freiheitlicher Demokratiebewegung, damals dargestellt durch das Schisma von Bolschewiki (später KPdSU) und Menschewiki (russische Sozialdemokraten). Die Sozialdemokraten ließ bereits Lenin politisch und physisch buchstäblich ausrotten, soweit sie nicht ins Exil entkommen konnten. Der kommunistische Vernichtungskampf gegen die Sozialdemokratie machte an den sowjetischen Grenzen nicht halt. Besonders auf die deutschen und österreichischen Sozialdemokraten hatte es Lenin abgesehen. Die SPD hatte ihm die erstrebte kommunistische Machtergreifung in Deutschland vermasselt und in einer Koalition mit dem (katholischen) Zentrum und den (liberalen) Demokraten eine anfänglich durchaus stabile parlamentarische Demokratie, die „Weimarer Republik“. geschaffen. An der Zerstörung der Demokratie von Weimar wirkten die deutschen Kommunisten (KPD) ebenso eifrig mit wie die NSDAP. Auf Weisung Stalins ernannten sie die SPD zum „Hauptfeind“. Der „Sozialfaschismus“ der SPD sei gefährlicher als der eigentliche Faschismus, bzw. Nationalsozialismus. Jetzt komme zwar Hitler, aber der werde sich nicht lange halten und „danach kommen wir“, behauptete die KPD. Auch während des Hitler-Stalin-Pakts (1939 – 1941) verhielt sich die im Moskauer Exil weilende KPD-Führung völlig Kreml-konform. Vor diesem Hintergrund ist der „Antifaschismus“ der KPD-Führung wenig glaubwürdig. Dennoch war es der Antifaschismus-Mythos der SED, durch den das in Sachen Geschichtsklitterung begabte DDR-Regime ein paar Punkte bei der eigenen Bevölkerung sammeln konnte. Wenn die heutige „Die Linke“ ein paar Pluspunkte riecht, und seien diese auch nur erschwindelt, dann ordnet sie sich ganz gern in diese Tradition ein. Die „Linkspartei“ jongliert mit Begriffen, so auch mit dem Begriff, um den es hier hauptsächlich geht: Kommunismus.
Ein Streit um die „richtige Definition“ politisch-historischer Begriffe führt in der Regel zu keinem brauchbaren Ergebnis – besonders dann nicht, wenn so unterschiedliche Interessen und politische Grundeinstellungen im Spiel sind wie in diesem Falle. Sinnvoll ist es aber, dass Autoren sagen, was sie unter einem in Rede stehenden Begriff verstehen und ihn dann wenigstens im gleichen Artikel auch durchgehend im gleich bleibenden Verständnis verwenden. Wie am Anfang dieses Abschnitts schon angedeutet, wird hier unter Kommunismus verstanden: sowohl die totalitäre Herrschaft der mit Lenins politischen Lehren ausgestatteten „Parteien neuen Typs“ als auch die entsprechenden Bestrebungen, Bewegungen, Parteien, Ideologien und ideologischen Restbestände innerhalb von demokratischen Verfassungsstaaten.
Die Linksaußenpartei kommt mit ihrer Suche nach Wegen zum Kommunismus hundert Jahre zu spät. Die Wege sind gegangen worden, die Wege sind ausgetreten, an den Wegrändern liegen die Gräber von 94 Millionen ermordeter Menschen, liegen die unzähligen Unterdrückten, Gequälten, die Erniedrigten und Beleidigten. Wege grausamer Verbrechen im Namen eines ideologisch angekündigten Paradieses auf Erden. Wenn Gesine Lötzsch und ihre weniger gesprächigen Genossen diese Wege noch einmal gehen wollen, so sind das reaktionäre Rückwege in ihre Zeit, die nicht unsere Zeit, nicht die Zeit der Demokraten war.
Mobilisierung der Demokratie
Am letzten Tag der DDR, dem 2. Oktober 1990, hatte ich ein langes Gespräch mit dem Dramatiker Heiner Müller über die erste erfolgreiche Revolution in Deutschland. Eine Revolution für Freiheit und Demokratie, für die Einheit Deutschlands und für Europa. Eine Revolution gegen die SED und ihre totalitäre Diktatur in der DDR. Wir haben uns an Bert Brecht und den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 erinnert. Brecht, der damals der SED als Lösung vorgeschlagen hatte, „die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes“. Und wir haben über Karl Marx und seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie gesprochen: „Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift“, wenn es darum geht, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Genauer, zutreffender hätten die Zustände der „real existierenden sozialistischen“ Wege der SED zum Kommunismus und der diese Zustände und Wege beendende Schrei des Volkes, das seinen Namen rief, nach Freiheit und Demokratie als die entscheidenden Gründe für die Revolution in der DDR und in Mittelosteuropa, nicht beschrieben werden können.
Was gegenwärtig aus der SED-Nachfolge-Partei „Die Linke“ zu sehen ist, ist die Realität einer substanziell verfassungsfeindlichen Partei, die immerhin im Deutschen Bundestag und in zwei Landesregierungen sitzt. Es ist eine Partei, die Wege zurück in das System vor der friedlichen Revolution 1989/90 sucht. So sieht eine reaktionäre, aber keine linke Partei aus. „Die Linke“ ist nur ein weiterer Etikettenschwindel der KPD-SED-Fortsetzungspartei, was sich sogar aus ihrem Programmentwurf ablesen lässt. Auch juristisch gilt, was die „Linkspartei“ 2009 vor Gericht selbst eingestehen musste: „,Die Linke’ ist rechtsidentisch mit der ,Linkspartei.PDS’, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“
Die aktiven Demokraten in unserer Republik müssen sich aufraffen, dieser Partei ihren eigenen Spiegel öffentlich vorzuhalten. An den Wegweisern ins Morgen, an den Kreuzungen der Zukunft lehren die Toten die Lebenden: Wehret den Anfängen! Nie wieder Wege in den Nationalsozialismus! Nie wieder Wege in den Kommunismus! „Du bist nichts, die Nation ist alles“, lautete die Grundideologie des Nationalsozialismus; „Du bist nichts, das Kollektiv ist alles“ die des Kommunismus.
Bis auf herausragende Ausnahmen sind in deutscher Wissenschaft, politischer Bildung und Publizistik die Wege des Kommunismus nicht aufgearbeitet. Ständige Aufgabe ist es nicht nur, mehr Demokratie zu wagen, wir müssen mehr Demokratie praktizieren und nicht weniger. Achtundachzig Prozent unserer Bevölkerung wollen die „Linkspartei“ nicht. Das ist aber nur die Momentaufnahme der letzten Bundestagswahl 2009, in Wirklichkeit sind es mehr. In einem Land der Aufklärung müssen wir vor allem den Nichtwählern überzeugend darstellen, warum es gut und wichtig ist für unser Land, unsere Republik, zur Wahl zu gehen und die Etikettenschwindelpartei friedlich aus dem Parlament hinaus zu wählen. Damit würdigen wir zugleich die Revolution in der DDR sowie in Mittelosteuropa 1989/90, und wir ehren die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft – so steht es seit 1990 auf dem Gedenkstein in Bautzen – auch durch die demokratische Aktion.
Der Autor
Dr. rer. pol. Waldemar Ritter, Bonn
Politologe und Historiker